Lateinische Texte zur Mettener Lokalgeschichte

 


Metama Latina

Das 1200jährige Jubiläum der Abtei Metten im Jahre 1966 besagt uns auch, daß an dieser Stätte im ehemaligen Grenzgebiet des römischen Reiches seit 1200 Jahren lateinisch gebetet, gesungen, gelesen, geschrieben und Latein natürlich auch gelehrt wurde. Wo hätten in früheren Zeiten die Novizen aus unseren Gauen ihre für die Hauptaufgabe des Klosters, das opus Dei, notwendigen Lateinkenntnisse erwerben sollen, wenn nicht im Kloster oder auf einer Domschule? Wie Monte Cassino bildeten auch die bayerischen Pionierklöster ihren Nachwuchs selber aus. Gleichsam als erstes lateinisches Übungsbuch mag das Psalterium gedient haben, wohl bald ergänzt durch den Abrogans, ein spätantikes Wörterbuch, das Arbeo von Freising mit deutschen Glossen versehen ließ. Die Klosterbücherei war seit eh und je ein propugnaculum Latinitatis. Mit hohem Kunstsinn hat die Schreibstube des Subpriors Albert um 1410 den Mettener Regelkodex durch prachtvolle Miniaturen ausgeschmückt. Heute reichen die lateinischen Bestände der Klosterbibliothek vom archaischen Latein bis zur neuesten Folge der Acta Apostolicae Sedis und enthalten Kostbarkeiten wie eine Bibelhandschrift aus der Zeit um 1300, Erstausgaben von Werken des Erasmus und Melanchthon, in Metten verfaßte lateinische Schulspiele aus dem 18. Jahrhundert oder das philosophische Lexikon von Anselm Rixner, einem der Mettener Konventualen, die seit 1620 an der Salzburger Universität ihre Vorlesungen in lateinischer Sprache hielten, wie es bis heute in der Ordenshochschule S. Anselmo (Rom) noch üblich ist, wo bis vor kurzem ebenfalls Angehörige des Mettener Klosters wirkten. Nach 1773 treffen wir am Lyzeum Freising Lehrer aus Metten. Als 1802 die Generallandesdirektion die Aufhebung der Klosterschulen verfügte, verstummten bei uns die Lieder einer Sängerknabenschule, an der auch Latein gelehrt wurde.

Auf Wunsch König Ludwigs I. wurde dann in Metten endgültig 1837 eine den staatlichen Anstalten gleichgestellte Lateinschule eröffnet. Die Übernahme des Bischöflichen Knabenseminars 1844 führte zum Ausbau eines Vollgymnasiums und im Sommer 1851 zum glänzenden Erfolg des ersten Mettener Absolutoriums. Die erste wissenschaftliche Beilage eines Jahresberichtes handelt 1844 über "die Benützung heidnischer Klassiker zum gelehrten Jugendunterricht". P. Gregor Höfer, der spätere Rektor des Münchener Ludwigsgymnasiums, bekannte sich darin zu der Auffassung, daß kirchliche Tradition und Gesetzgebung die Verwendung der Klassiker im Unterricht rechtfertigen, wenn sie in geeigneter Weise interpretiert werden. Zugleich erhob er die Forderung, in den oberen Klassen auch christliche Schriftsteller zu lesen. Seit diesem Programm erschienen in den Mettener Jahresberichten wiederholt Themen der lateinischen Philologie, so "Die messianische Weissagung in Vergils Ecloga IV", "Prolegomena zu Lactantius", "Die Argeer im römischen Kultus", "Marius Victorinus Afer", "Prudentius und Vergil". Zu einem Höhepunkt führte die lateinischen Studien in unserem Hause P. Benno Linderbauer (gest. 1928), der sich, wie vor ihm P. Edmund Schmidt, in der Regelforschung einen Namen machte. Als bayerischer Cicero schrieb er die Programme zu den Jahresberichten 1892/93: "De verborum mutuatorum et peregrinorum apud Ciceronem usu et compensatione" und 1904: "Studien zur lateinischen Synonymik". Die Schulordnungen von 1874 und 1891 brachten die 9. Klasse und das erste Vordringen der Naturwissenschaften. Um diese Zeit bekannte sich der Konvent endgültig zu dem Grundsatz der staatlichen Prüfung für die klösterlichen Lehrkräfte. Seitdem haben die Mettener Patres an den Universitäten Würzburg und München ihr philologisches Rüstzeug erworben. Recht ansehnlich ist auch die heute noch wachsende Gesamtzahl unserer Absolventen, die Latein als Studienfach wählen.

Ein Vergleich der Schulordnung von 1891 mit den Lehrplänen von 1964 zeigt, daß die Gesamtstundenzahl für Latein in allen neun Klassen von 66 Wochenstunden auf nunmehr 47 zurückgegangen ist. Wenn trotzdem auch nach dem letzten Krieg das Niveau der aus Augustinus, Cicero, Lactantius, Livius, Macrobius, Orosius, Quintilian, Sallust, Seneca und Tacitus genommenen Prüfungsaufgaben bei Bevorzugung philosophischer Inhalte nicht hinter dem zurücksteht, was in den "goldenen Zwanzigerjahren" verlangt wurde, so liegt das an der Konzentration des Lateinunterrichtes auf ein Hauptziel und an der Differenzierung der Methode. 1891 erhielt der Lateinunterricht zwar die Aufgabe "den Schülern einerseits eine derartige Kenntnis der lateinischen Sprache beizubringen, daß sie einen deutschen, jedoch im Gedankenkreise der alten Schriftsteller liegenden Text zu übersetzen vermögen, und dieselben andererseits mit den hauptsächlichsten Werken der klassischen Literatur der Römer bekanntzumachen", praktisch aber wurde bis 1914 in der Reifeprüfung nur eine Hinübersetzung verlangt. Heute soll in den ersten Unterrichtsjahren ein sicheres Fundament gelegt, das volle Unterrichtsziel aber in der gründlichen Beschäftigung mit Hauptwerken der Literatur von beispielhaftem Rang und bleibendem menschlichen Wert erreicht werden, um die Werte und Formkräfte der lateinischen Sprache für die Bildung und Erziehung fruchtbar zu machen. Mit Recht betont der Lehrplan, daß auch die Alten Sprachen in der Schule sich die Frage stellen müssen, "was die Gegenwart von ihnen fordert. Jedes Jahrhundert sieht die Alte Welt unter einem anderen Blickwinkel. In der Methode des Unterrichts wie bei der Auswahl der Lektüre wurde daher sorgfältig geprüft, was dem jungen Menschen unserer Zeit gemäß ist." So erfreut sich heute der Lateinunterricht einer besonders reichen Auswahl für die Lektüre, die mit einem festen Grundstock als Kern vom Zwölftafelgesetz über die frühchristliche Literatur bis zu Proben des modernen Lateins reicht und auch übergreifende Themen und zeitnahe Problemstellung ermöglicht. Die moderne Methode berücksichtigt die Psychologie des Übersetzens und pflegt die Übersetzungstechnik planmäßig. Gut eingeführt haben sich die systematische Wortkunde, die nicht nur das notwendige Grundwissen präsent hält, sondern auch in die Grundbegriffe römischer Weltanschauung einführt, und das Sachheft, das mit Gliederungen und Zusammenfassungen "Kenntnisse festigen und Erkenntnisse bewahren" hilft. Die modernen Anschauungsmittel reichen an unserer Anstalt von einer Münz- und Cäsarausstellung bis zu den Romfahrten der drei letzten Oberklassen. Mögen unsere Studientage über Kolonialismus, Demokratie, Sport, Friedensgedanken oder den Staatsmann gehalten werden, das Wort der Antike darf nicht fehlen; 1961 und 1966 bildete die Ewige Stadt selbst als "wahre Universität" (Goethe) mit ihrer Topographie, Baugeschichte und mit der Romidee den Mittelpunkt des Bestrebens, die Querverbindungen zu anderen Fächern zu pflegen. Das Schulspiel, die Aufstellung der altertumskundlichen Teile der Studienbücherei in einem eigenen Fachraum, von unseren Schülern Altphilologenzimmer genannt, und nicht zuletzt freiwillige Arbeitsgruppen unterstützen die Bemühungen, "eine lebendige Vorstellung von der Eigenart und dem Wandel des römischen Welt- und Menschenbildes und von dem Weiterwirken der Antike bis in unsere Gegenwart zu vermitteln" (Lehrplan S. 345).

Dr. P. Anselm Wimmer

 

Humanistische Ausbildung und Arztberuf

Professor Dr. Hans B 1 ö m e r (zu Absolvia 1942)

Direktor der 1. Med. Klinik der Techn. Hochschule München

Will man von den Vorteilen reden, welche die Ausbildung in der lateinischen Sprache für das spätere Leben mit sich bringt, so sollte man sich grundsätzlich auch mit der Frage der humanistischen Ausbildung befassen, die ja mit dem Lateinischen beginnt und mit dem Griechischen als zweiter Fremdsprache - ebenfalls einer "alten" Sprache - fortfährt. Das spielt besonders für den Mediziner eine Rolle, der sich während seines Studiums ebenso wie bei seiner späteren Tätigkeit mit beiden Sprachen konfrontiert sieht. So soll im folgenden das Thema nicht nur unter dem Gesichtspunkt der lateinischen Sprache allein, sondern auch der humanistischen Ausbildung im allgemeinen betrachtet werden.

Geht man vom Negativen aus, so ist die Frage zu erörtern, inwieweit die humanistische Ausbildung einen Nachteil für ein naturwissenschaftliches Studium darstellt, wie es das Medizinstudium größtenteils ist. Hier wird vor allem das Argument angeführt, daß der junge Student mit humanistischer Ausbildung dem ersten Teil des Medizinstudiums, das ja zunächst mit rein naturwissenschaftlichen Fächern beginnt, aufgrund seiner etwas mangelhaften naturwissenschaftlichen Vorbildung irgendwie hilflos gegenüberstehe. Dieses Argument besteht - theoretisch betrachtet - sicherlich zu Recht, da der Absolvent eines naturwissenschaftlich ausgerichteten Gymnasiums weit größere Kenntnisse gerade auf dem Gebiet der Chemie und Physik mitbringt als der Absolvent eines humanistischen Gymnasiums. Tatsächlich verhält es sich aber umgekehrt: Die Ergebnisse der ersten medizinischen Prüfung, des sogenannten Vorphysikums, das rein naturwissenschaftliche Fächer (Chemie, Physik, Zoologie, Botanik) umfaßt, zeigen, daß die Humanisten trotz der ihnen nachgesagten schlechteren naturwissenschaftlichen Vorkenntnisse im Durchschnitt am besten abschneiden. Das hat wohl zwei Hauptgründe: Eben wegen der weniger umfassenden naturwissenschaftlichen Vorkenntnisse befaßt sich der humanistisch ausgebildete Medizinstudent von Anfang an wesentlich intensiver gerade mit den ihm nicht so vertrauten Fächern, wie Chemie und Physik. Vieles, was einem früheren Oberrealschüler bereits geläufig zu sein scheint, ist für ihn Neuland, auf das er sich vom Beginn seines Studiums an mit um so größerem Fleiß konzentriert. Darüber hinaus hat der humanistisch ausgebildete Student, nicht zuletzt wegen seiner konsequenten Erziehung in der lateinischen Sprache, gelernt, selbständig zu arbeiten. Was er am Modellfall "Lateinisch" gelernt hat, das "Lernen" schlechthin, kann er auf jedes künftige Fachgebiet anwenden, unabhängig von der Art dieses Gebietes. Seine humanistische Ausbildung ist deshalb auch nicht für ein rein naturwissenschaftliches Studium, beispielsweise für Chemie oder Physik, und schon gar nicht für die relativ harmlosen naturwissenschaftlichen Anforderungen, die an den Mediziner gestellt werden, von Nachteil.

Hält man sich die Vorteile der humanistischen Ausbildung im allgemeinen, der in der lateinischen Sprache im besonderen, vor Augen, so erscheint zunächst die Frage der medizinischen Terminologie, die auch heute noch großenteils auf lateinischen und griechischen Wörtern basiert, vordergründig. Sicherlich hat es der Medizinstudent, der aufgrund seiner humanistischen Vorbildung diese medizinischen Bezeichnungen nicht nur auswendig lernen muß, sondern sie auch verstehen kann, wesentlich leichter als der Nichthumanist. Dazu kommt, daß die medizinische Diskussion am Krankenbett auch heute noch zum Teil in lateinischer Sprache geführt wird, wobei allerdings die Einschränkung gemacht werden muß, daß die hier verwandte Sprache mit der eines Cicero oder Caesar nur noch sehr wenig Gemeinsames aufweist! Der junge Arzt, der eine entsprechende altsprachliche Ausbildung durchgemacht hat, ist hier ohne Zweifel im Vorteil. Ich glaube aber nicht, daß die genannten Argumente, die sicherlich gerade für das Medizinstudium von besonderem Vorteil sind, den wesentlichen Wert der lateinischen bzw. der humanistischen Ausbildung darstellen. Die grundlegende Bedeutung dieser Ausbildung ist viel umfassender:

1. Die humanistische Ausbildung beginnt vom ersten Tag an mit einer systematisch und konsequent durchgeführten Lehre der lateinischen Sprache. Diese nüchterne, phrasenarme und logische Sprache, die auf strengen und genau definierbaren grammatikalischen Grundlagen basiert, führt ganz von selbst, d. h. mehr oder weniger unbewußt zur Erziehung im logischen Denken und zur selbständigen Arbeit. Einige Jahre später wird das gleiche Prinzip mit der griechischen Sprache noch einmal durchexerziert. Es sind dies Sprachen, die man nicht - gewissermaßen nebenbei - im Rahmen einer Konversation oder eines Ferienaufenthaltes im Ausland im Umgang mit Menschen, die diese Sprache sprechen, aufnehmen kann, sondern die nach genau definierten Gesetzen der Grammatik erlernt werden müssen, was eine konsequent und systematisch durchgeführte tägliche Arbeit, Ausdauer und den entsprechenden Fleiß zur Voraussetzung hat. "Sprachgenie" allein hilft hier wohl wenig weiter. Gerade der Durchschnittsschüler wird dadurch zum selbständigen und systematischen Arbeiten erzogen. Diese besonders vom humanistischen Gymnasium vermittelte Erziehung zum selbständigen Arbeiten ist von grundlegender Bedeutung für das spätere Hochschulstudium, und zwar unabhängig von der eingeschlagenen Fachrichtung. Gerade das deutsche Universitätsstudium, bei dem der Student auch heute noch großenteils relativ freizügig und unkontrolliert studiert, stellt große Anforderungen an ein selbständiges und selbstverantwortliches Arbeiten des Studierenden. Die humanistische Ausbildung bietet die beste Gewähr dafür.

2. Die Entwicklung zur Spezialisation ist heute nicht mehr aufzuhalten und wohl auch dringend erforderlich. Die neuen Erkenntnisse der letzten 20 Jahre ließen jedes Fachgebiet in einem solchen Umfang anschwellen, daß nur noch der "Spezialist" in der Lage ist, sein eigenes, oft eng umgrenztes Gebiet wirklich zu beherrschen. Der große Vorteil dieser Entwicklung birgt gleichzeitig eine ernste Gefahr in sich: Die Erziehung zum "Fachidioten", von der heute oft die Rede ist. Es fehlt nicht nur die Assoziation zum anderen Spezialisten und damit die Integration eines größeren Fachgebietes; bereits der Student wird zum "Fachmann" erzogen, während seine Allgemeinausbildung und damit seine Allgemeinbildung darunter leidet. Der Humboldt'sche Gedanke der "Universitas" wird dadurch in zunehmendem Maße ad absurdum geführt. Durch die humanistische Erziehung, vor allem auch durch die Ausbildung in den alten Sprachen, wird der Schüler mit der abendländischen Kultur aufs engste vertraut gemacht. Er übersetzt nicht nur die Texte, er lernt durch sie gleichzeitig die Geschichte der abendländischen Völker kennen und ihre Kulturen verstehen. Bildet er sich später auf der Hochschule zum Fachmann auf irgendeinem Spezialgebiet aus, so bringt er den Grundstock einer guten Allgemeinbildung mit und damit auch das Interesse, diese nicht nur zu bewahren, sondern auch weiter auszubauen. Gerade das Medizinstudium, das heute eine ungeheure Fülle an Einzelwissen verlangt und darüber hinaus den Studierenden durch aktuelle und interessante Probleme in seinen Bann zieht, birgt in besonderem Maße die Gefahr der reinen "Fachausbildung" in sich, welcher der rein naturwissenschaftlich vorgebildete Student um so leichter verfällt.

3. Der essentielle Wert der humanistischen Ausbildung geht aber über die bisher genannten Punkte weit hinaus. Er besteht in der charakterlichen Formung des jungen Menschen und seiner Prägung im humanistisch-abendländischen Sinne, bei benediktinisch-klösterlicher Erziehung im besonderen im humanistisch-christlichen Sinn. Gerade diese Einstellung ist von grundlegender Bedeutung für den späteren Arzt. Es wäre schlimm um ihn und seine Patienten bestellt, wenn sich seine Ausbildung auf die rein fachlich-wissenschaftliche Seite beschränken würde, ohne ihn zu einer ausgereiften Persönlichkeit zu formen. Sein späterer Patient darf für ihn nicht nur ein medizinischer "Fall" sein, den er aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausbildung richtig zu diagnostizieren und lege artis zu behandeln hat, er muß im Patienten den kranken, leidenden Mitmenschen sehen, der sich ihm in seiner Not anvertraut und von ihm Heilung seiner körperlichen Gebrechen, nicht zuletzt aber auch seiner seelischen Konfliktsituationen erwartet. Dazu gehört nicht allein eine hervorragende wissenschaftliche Ausbildung - diese stellt die mindeste Voraussetzung dar - sondern eine humanistisch-caritative Einstellung. Wer in seinem künftigen Arztberuf nur eine rein wissenschaftliche Tätigkeit oder gar einen lukrativen Erwerbszweig sieht, sollte lieber gar nicht erst Medizin studieren! Er würde mit Sicherheit später weder Glück noch Befriedigung in seinem Beruf finden. Die humanistische Ausbildung in Verbindung mit der benediktinischen Erziehung gibt ihm die grundlegenden Voraussetzungen dafür in die Hand.

 

 

St.-Michaels-Gymnasium Metten
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