Lateinische Texte zur Mettener Lokalgeschichte

Latein - einmal anders

 


Angeblich ist die Jugendzeit die sorgloseste Zeit des Lebens. Aber wer je die Bänke des "Pennals" drückte, glaubt es anders zu wissen! Sorglosigkeit, wenn am nächsten Tag die gefürchtete "Griechische" bevorstand und dir die "Unregelmäßigen" alles andere als geläufig waren; Sorglosigkeit, wenn dir vor lauter Accusativ cum Infinitiv, Gerund und Gerundiv der gemarterte Kopf rauchte; Sorglosigkeit, wenn man von dir verlangte, die Hexameter Ovids aus dem Ärmel zu schütteln und Ciceros Satztiraden zu schmucken deutschen Wortgefügen zu winden? Ja, wir hatten schon auch unsere Sorgen, wir "Lateiner", geringfügig erscheinend freilich verglichen mit dem, was später der Lebenskampf brachte und noch bringen mag, aber immerhin Sorgen, die dem armen Schüler manche schlaflose Nachtstunde kosten mochten

Später, im Abstand der vergangenen Jahre und Jahrzehnte und verklärt von der Erinnerung, sieht dann auch solches, wie alles im Leben, anders aus. Heute lächelst du wohl darüber, und vielleicht machst du gar einmal aus jener Schülernot eine Alterstugend und betrachtest dein gutes altes kummervolles Latein durch die Brille des Humors! Denn auch so was gibt es, und, wenn du dich nur recht entsinnen magst, nicht einmal zu knapp!

Wenn wir als Schüler jenen Satz des Vergil: "Prosequitur surgens a puppi ventus euntis" mit "sie wurden von aus ihren Hinterteilen hervorbrechenden Winden vorwärts getrieben" übersetzten, so war solches vielleicht noch eine Art Mut der Verzweiflung. Der berühmte, hier in Übersetzung "wörtlich" gar nicht wiederzugebende Satz aus Cäsar: Caesar cum vidisset portum plenum esse, juxta navigavit dagegen war wohl schon reine Bosheit dem Herrn Professor gegenüber!

Das erste, eigentlich restlos frohe und aller Schlacken entledigte Wiedersehen mit dem Latein feiert der Humanist meist mit dem Eintritt in die Alma mater, wenn er in frohem Freundeskreis das"Gaudeamus igitur" anstimmt. Aber erst dann, wenn einer aufsteht und mit lauter Stimme und in der Pose, des "Rex" citiert:

Sunt si quid video causae tibi quinque bibendi: hospitis adventus, praesens sitis atque futura et vini bonitas et quaelibet altera causa

geht dir vielleicht ganz auf, daß jenes vielgeschmähte Latein doch eigentlich tatsächlich zwei Seiten hat! Nun singst du vielleicht gar, darob übermütig geworden, den nächsten cantus mit gewaltiger Stimme, bis dir dein Nachbar zur Linken so beiläufig ins Ohr sagt

Valet humana multum vox
deformat tamen vultum mox ...
worauf du es vorziehst, zu schweigen.

Und dann erzählt ein anderer jene froh-traurige Geschichte vom Johann Fugger selig und von seiner Wallfahrt nach Rom, und wie er in Montefiascone (nomen est omen!) seinen Diener aussandte mit dem Auftrag, an die Osteria, wo der Wein am besten sei, mit Kreide hinzusehreiben: est! est! est!, und der gute Johann die zahlreichen diesbezüglichenEinladungen dann so nachhaltig befolgte, daß er Rom Rom sein ließ und der Diener zum Ende auf seinen Grabstein setzen ließ:

Propter nimium est est
dominus meus mortuus est,

und du merkst unversehens, daß solchermaßen dein altes Schullatein sich gar zur Anekdote wendet ...

Weil wir schon beim Trinken sind: in vino veritas, heißt es, und wir pflegen dabei anzustoßen. Warum? Ja, weil man mit der Wahrheit halt an allen Ecken und Enden anstößt!

Daß Latein kein alter Zopf, sondern durchaus zeitnah sein kann, erkennt jeder, der die Weltlage solchermaßen glossiert sieht:

Paratum iam cum pilo fax
haeret in uno filo pax!

Und paßt nicht jener Satz des Ulpian:

Cogitationis poenam nemo patitur

in der"klassischen" übersetzung: "Die Qual zu denken kann keiner aushalten" geradezu symbolhaft in unsere oberflächlichen Tage? Wie ein Gerichtsbericht aus der heutigen Tageszeitung liest sich:

Qui caret argento, frustra utitur argumento

Wer Geld hat, hat den Rechtsanwalt
wer keines hat - verliert und zahlt!

Oder schauen wir hinein in die Tagespolitik!

Est longum bellum non non est estque duellum
(Um "ja" und "nein" ist allezeit und immer noch ein arger Streit!)

Und hochaktuell auch:
Multi habent docturam, sed non doctrinam!
(Beispiele sind wohl überflüssig).

Auch im täglichen Berufsleben können wir unser heiteres Latein verwenden:

Schmiedici et schlosseres faciunt cum hammere bumbum.
nachtwächteri veniunt cum spiessibus atque laternis
ledernas hoses habent, ex quibus podex raushängt
(sit venia verbo!)

Gleich wie im Deutschen gibt es auch im Lateinischen allerhand sinnreiche Wortspielereien. So etwa Sätze, die man gleichermaßen vorwärts und rückwärts lesen kann (vgl. "Bei Liese sei lieb"). Es gibt ein mittelalterliches Gedicht, das 58 solche Verse enthält; drei Verse als Beispiel und Probe:

et si se retro feret, utere forte resiste
sic i, demisse, patiens ne ita pessime dicis
ingeret ille pedes a sede pellite regni

Auf einem Hüttenbuch im österreichischen fand ich jüngst folgenden Eintrag:

"Bergsteigerlatein"

Der Mann muß seine "Lateiner" gekannt haben!

In diesem Sinne noch eine freundliche Aufforderung an juristisch interessierte Leser: In einem Testament steht folgende Auflage an die Erben -statuere statuam auream hastam tenentem -. Soll nun die ganze Statue oder nur die Lanze golden werden?

Zum guten Ende möchte ich nur noch erzählen, daß ich als Zweit- oder Drittkläßler einmal zum Entsetzen des Herrn Professors, der noch dazu Antialkoholiker war (auch so was gabs, trotz "Blauband"!), das Wort des Seneca "ebrietas parva insania" mit "ein k1einer Rausch ist Wahnsinn" übersetzte. Später merkte ich, daß beinahe was Wahres daran ist. Meinst du nicht auch?

August Gegenfurtner (abs. 1932)

 

 

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