Ist heute Flotte? *

"Ist heute Flotte?" - Diese Frage hätten wahrscheinlich die Schüler von 1946 noch nicht verstanden. Heute dürfte jeder Mettener Schüler wissen, was damit gemeint ist. Wenn auch nicht unter diesem Namen, die Anfänge der Mettener Donauflotte liegen schon im letzten Jahrhundert. Um 1860 soll der damalige Direktor des "gehobenen Seminars" P. Coelestin Feiner das Kahnfahren auf der Donau eingeführt haben. Nach einer wechselvollen Geschichte, die im ersten Band der bisher fünfbändigen Flottenchronik nachzulesen ist, erlebte sie in den vergangenen 50 Jahren den Aufstieg zu ihrer Blütezeit.
Mit der Wiedereröffnung des Internats 1946 kam auch wieder Leben auf die Donau. Von den Präfekten der ersten Zeit hat besonders der allem Sportlichen aufgeschlossene P. Egbert Engelmann den Anfang gemacht, als er 1947 für den Studiersaal der Großen einen 9 m langen Kahn (später "Riese" genannt) wieder instand gesetzt hat. Auch der Cellerar P. Eberhard Streibl wurde teils freiwillig, teils unfreiwillig zum Förderer, als er zwei Boote für die Verwaltung anschaffte, und dann eines auch der Flotte zur Verfügung stellte. Das andere "lag angesperrt am Mettener Strand; aber es wurde öfter ohne P. Eberhards Wissen von Studenten benutzt, denen es gelungen war, sich einen passenden Schlüssel zu besorgen."
Auch P. Walter Ringlstädter als Präfekt der 4.(8.) Klasse (1957 - 61) organisierte seiner Klasse einen eigenen Kahn (später "Walter" genannt). P .Hugo Jännichen ließ sich vom englischen Vorbild inspirieren und wollte Rudersport nach allen Regeln der Kunst. 1957 floß dazu sogar ein Zuschuß vom Kultusministerium, so daß bis 1959 der Bestand auf drei Rennboote anwuchs.

1960 trat mit P. Erminold Füßl als Präfekt im Juvenat der Motor für das Aufblühen der Flotte in den nächsten dreißig Jahren auf die Bühne (oder besser ans Ruder?). Mit einem alten Kahn hat er begonnen, nach und nach wurden immer mehr Holzkähne, teils sogar nach Plänen, die von den Schülern entworfen wurden, in Loham und Niederalteich gebaut. Nach dem Ausscheiden P. Walters aus dem Internat 1961 fiel die Gesamtleitung an P. Erminold. Originalton P. Erminold: "Die ganze Flotte wurde nun straff zusammengefaßt und ganz zielstrebig ausgebaut." Zielstrebig - d.h. neue, größere Kähne am laufenden Band - den bisher unübertroffenen Höhepunkt bildete "Tassilo" mit 10 Rudern -, der Aktionsradius steigerte sich donauaufwärts schrittweise über Mariaposching, Pfelling bis Bogen auf stattliche 21 km (6 Stunden dauerte die Hinfahrt , 4 die Rückfahrt). AJM 30/3 berichtete damals: "Durch ‘Schreifunk’ (die Funksprechanlage ist leider noch frommer Wunschtraum) dirigierte der stimmgewaltige Admiral P. Erminold seine Flotte nach Hause." Die Ausweitung donauabwärts übertrifft die schon ganz anständigen 21 km um ein Vielfaches: 1964 stach ein Mettener Schiff in See zur weiten Reise in die österreichische Hauptstadt Wien:

Kapitän - Steuermann - Mannschaft - Passagiere:
Werner Baumgartner, Gerold Eger.

Diesem ersten Versuch sind bis heute 26 weitere gefolgt, fast alle erfolgreich, alle ziemlich erlebnisreich - bei allen Wasser unter dem Kahn, meist Wasser im Kahn, und ab und zu Wasser von oben. Sehr bescheiden nimmt sich dagegen der Vorstoß in Richtung Norden aus: die Schiffbarmachung des Perlbachs wird kaum in die Geschichtsbücher eingehen, da sie nur auf Zeiten des Hochwassers beschränkt ist.

Der Unterhalt einer Flotte verschlang schon zu allen Zeiten immense Mittel. Da wir dafür nicht mehr ganze Wälder abholzen können, verfiel P. Erminold, da "die Zuschüsse vom Seminar immer geringer wurden" auf immer neue Ideen - sechs Jahre lang trug er mit vielen fleißigen Helfern Unmengen von Altmaterial zu den Händlern und Pfennig um Pfennig zurück in die Flottenkasse (seitdem trägt er nur noch Altmaterial zusammen). Um die 8000 DM brachte man auf diese Weise zusammen. 1966 verfiel er dem Traum, die Vermehrungsfreude von Hasengetier zur Hebung der Finanzen einzusetzen - das Unternehmen mußte abgebrochen werden (mit einem Reingewinn von 10 DM). Diese rastlose Aktivität führte dazu, daß die Statistik des Jahres 1965 einen Bestand von insgesamt 19 Booten ausweist:
3 Rennboote (1. Flottille), 14 Kähne (2. Flottille), 2 Paddelboote (3. Flottille).

Einige Kuriositäten aus dieser Zeit:

- 1966: Die Flotte inspirierte den damaligen Junglehrer Zieglmeyer zu einer ganzen Griechischschulaufgabe

- 1967 Eine Wienfahrt kommt nicht zustande, weil im letzten Augenblick die Großmutter eines Teilnehmers Angst bekommt und ihren Enkel nicht mitfahren läßt.

- Wortwechsel auf der Donau:
Schüler: "Fußgroßes Leck am Bug"- Erminold: "Braucht ihr Uhu?"

- Für den altersschwachen Kahn einer Wienfahrt mußte zu einer Zeit, da Österreich noch fern der EU sein eigenes Süppchen kochte, an der Grenze 105 Schilling Zoll gezahlt werden. Als Rache wurde der Kahn dann in Wien für 100 Schilling verkauft.

- Eine Fahrt nach Irlbach lieferte die Grundlage für folgenden Text:

Siebenzig Stadien - attisch gezählt -, doch zweier ermangelnd
schifften sie hin durch die gräuliche, fischedurchwimmelte Salzflut
auf ihren Schiffen, den donaubefahrenden, schwärzlich gebauchten
und nach länglicher, schweißentlockender Fahrt erreichten
Irlbachs glänzende Mauern die wasserzerteilenden Fergen.
Doch schon meldet sich an der nagende Hunger, heftiger
freilich der Durst, das angestammte Laster der Bayern.
Und so kehrt man ein im gastlichen Pfarrhof von Posching;
alldort waltet als Pfarrherr, gar rührig mit reichlichen Worten
Bonifaz Miller, vor kurzem noch weilend in unserem Kreise.
Und wie hausen die Käfer des Mais in den Blättern der Bäume,
welche gelocket ans Licht des Helios glänzende Strahlen,
also vertilgten auch sie die Kränze der bräunlichen Würste,
welche sorglich bewahrt in der ‘Speis’ die treulich waltende Köchin.
Also saßen die Helden in greifbarer Nähe das Bierglas,
rings im freundlichen Kreis an dem Tisch, dem herrlichen, braunen,
Gläser darauf mit den seelenerquickenden, quellklaren Tropfen,
während der Käpten mit knurrendem Magen die Kiele bewachte.
Spät erst kehrten sie heim in den bergenden, sicheren Hafen,
froh des Tages gedenk, das Herz voll purpurner Freude.

 

Disziplin wird unter P.Erminold groß geschrieben: "Neulich fragte mich ein Altmettner, ob wir wieder mit Bier auf die Insel führen; als ich ihm sagte, daß es jetzt bloß Saft, Kakao oder Tee gebe, erwiderte er: ‘Degenerierung’." Mit drakonischen Strafen wurde diese Disziplin aufrecht erhalten: Die Flottenchronik vermeldet für den 20. 5. 1973: "Leider haben Schüler der 9. Klasse Bier auf die Insel mitgenommen. Daraufhin wurde über sie Flottensperre bis zu den Pfingstferien verhängt."

Mit den 70-ger Jahren setzte zuerst noch zaghaft ein Wandel ein, der bis heute fast abgeschlossen ist: Beklagt P. Erminold 1962 noch die Lage der 3. Flottille ("Sie zählt erst ein Paddelboot, das noch dazu nicht in gutem Zustand ist"), so wurden 1970 die ersten drei Kajaks aus Kunststoff gekauft. (Bis heute ist ihre Zahl auf 21 angewachsen).

Die 80-ger Jahre haben noch eine 4. Flottille aus 6 Kanadiern hinzugefügt. Aus dieser Zeit stammt auch P. Erminolds Kennzeichnungsschema für die Boote: Die römische Ziffer am Anfang gibt die Flottille an, die nächste Zahl ist eine laufende Nummer innerhalb der Flottille, die letzte Zahl ist das Anschaffungsjahr. Diese Kunststoffboote sind heute noch alle einsatzfähig. Dagegen trägt zwar der derzeit jüngste Kahn mit dem vielversprechenden Namen "James" die Nummer II-44-91, aber von seinen 43 Vorgängern sind fast alle schon verfault, und die letzten drei harren noch einer mehr oder eher weniger aussichtsreichen Reparatur. Die leichtere Transportmöglichkeit für Kunststoffboote führte in den 80-ger Jahren zu vermehrten Aktivitäten außerhalb des angestammten Mettener Gebietes: Fahrten auf Regen, Altmühl, Isar und natürlich auch weiter entfernten Abschnitten der Donau.

Nicht alle Boote mußten neu gekauft werden - manch Altmettener oder auch Eltern unserer Schüler haben durch Schenkung zur Mehrung unseres Bootsbestandes beigetragen (Im Jahr 1996 insgesamt fünf Boote!).

Als Beispiel für einen ungewöhnlichen Lebenslauf eines Bootes sei genannt:
1972 wurde bei einem Hochwasser ein schon reichlich löchriger Kahn mit der Registriernummer RG 133 angeschwemmt. Über diese Nummer konnte der Besitzer ausfindig gemacht werden, der jedoch sein ehemaliges Schiff der Mettener Flotte überließ. Im alten Kuhstall wartete der Kahn auf seine ungewisse Zukunft, bis ihn im Frühjahr 1973 eine Gruppe aus der 9. Klasse für eine Wienfahrt auserkoren hat und in mühevoller, freizeitenfüllender Arbeit zu einem Prunkstück machte. Auf den Namen "Noah" getauft, trug er die vier sicher wie die Arche nach Wien, kehrte heil per Schiff via Regensburg nach Metten zurück, wurde von P. Erminold in "Regina" umbenannt, erweckte im nächsten Frühjahr jedoch wieder die Lust der vorjährigen Wienfahrer, so daß sie kurz entschlossen dem Boot wieder zum angestammten Namen verhalfen und die zweite Reise auf "Noah" gen Wien antraten. - Dann die selbe Prozedur wie im letzten Jahr: Transport per Schiff nach Regensburg, von dort nach Metten, P. Erminold pinselt wieder "Regina" auf die Planken. Fast zwei Jahre durfte der Zweitname "Regina" bleiben, bis er zu Pfingsten 1976 "Daphnis" weichen mußte beim Aufbruch zur 3. Wienfahrt - diesmal allerdings mit neuer fünfköpfiger Mannschaft. Auch unter diesem dritten Namen wurden das 360 km weite Ziel erreicht, 450 km nach Regensburg überstanden, und die letzte große Reise über 90 km nach Metten (übrigens mit zwei der Wienfahrer von 73 und 74). Allerdings unterblieb die schon fast gewohnheitsmäßige Umbenennung in "Regina". Im Sommer 1977 schließlich konnte das altersschwache Holz der Gewalt der Wellen vorbeifahrender Schiffe nicht mehr standhalten, und der ausgediente Kahn wurde "abgebaut" (d.h. noch brauchbare Eisenteile sichergestellt).

Das war’s? - Nicht ganz.

Auch die 90-ger sind für ein paar Überraschungen gut. Zum Beginn des neuen Schuljahres wollte P. Erminold nach 30 Jahren an der Spitze der Mettener Donauflotte das Steuer an jüngere Hände übergeben. Am 12. 9. 1990 übernahm P. Thomas Winter laut P. Erminolds "Übergabe - Übernahme - Bescheinigung die Flotte mit ihrem gesamten Bestand.
Zu diesem Bestand gehören:
1. Alle Boote; genaue Aufstellung wird beigefügt.
2. Die zwei Flottenwagen mit den Geräten.
3. Die Handwagen zur Beförderung der Boote.
4. Zwei Flottenräder.
5. Die Flottenchronik (5 Bände).
6. Das Flottenarchiv.
7. Die Werkzeuge.
8. Die Flottenabrechnung.
9. Die Flottenkasse mit einem Aktiv-Bestand von 431,74 DM."

Nach diesem Wechsel konnte eine alte Forderung erfüllt werden: einen Kahn auf den Namen "Erminold" zu taufen. Beharrlich hatte sich der Flottenchef diesem Ansinnen widersetzt mit dem Hinweis, er wolle nicht, daß über den Wassern der Donau der Ruf erschallt: "Erminold säuft".

Lange währte die Freude nicht. Im April 1991 konnte der neue Flottenchef in der Zeitung lesen:
"Ab 1. Mai ist die Mettener Insel geschützt".
Geschützt - wovor?
Die Tragweite der Hiobsbotschaft wurde erst bei genauer Lektüre der Nachricht deutlich. "Die Donauinsel bei Metten wird unter dieser Bezeichnung als Landschaftsbestandteil geschützt.... Neben den üblichen Verboten wie Aufschüttung vornehmen, Pflanzen einzubringen, Hunde frei laufen zu lassen usw. ist es insbesondere nicht zulässig zu zelten, lagern, picknicken oder die Donauinsel zu befahren."

Schutz also vor uns! Eine über 100 jährige Tradition wird mit einem Federstrich beendet. Auch der Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung für den Brennesselstandort unter der Autobahnbrücke bleibt erfolglos. Am 28.3.91 nahmen wir wehmütig Abschied von "unsrer" Insel. Was nun? Die Insel ist nur noch bei Hochwasser "unser" Gebiet. Wir suchen uns notgedrungen einen Lagerplatz am rechten Donauufer oberhalb der Insel, der noch in einer strömungsfreien Zone liegt - weitere Anfahrt- weniger Spaß. Trotz dieser Entmutigung machen wir uns an die Arbeit. 1992 wird der "neue" Flottenwagen hergerichtet und in den Mettener Farben blau und gelb lackiert. Die Kajaks und die Kanadier werden ausgebessert, die Flottengarage hinter dem Freibad - seit 1975 Domizil unserer Boote - aufgeräumt - schließlich ist der neue Flottenchef sehr ordnungsliebend (aber nicht jede Liebe findet ihre Erfüllung!). Auch die Tradition der Wienfahrten wird fortgeführt (heuer die 27. seit der ersten im Jahr 1964), der Rücktransport konnte die letzten beiden Male auf einem Anhänger, den uns der Wasserskiclub Metten dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat, problemlos und schnell durchgeführt werden.

Der derzeitige Bestand an Booten:

4 reparaturbedürftige Skuller

1 Kahn (2 reparaturbedürftig)

21 Kajaks

6 Kanadier

2 Faltboote (1 davon mit Segel)

Wie schaut heute der Flottenalltag aus?
Wenn das Wetter paßt (je nach Geschmack - manche übten schon im Januar mit Kajaks oder Kanadiern die Navigation zwischen Eisschollen), meist aber erst ab Ostern, werden die Handwagen mit den Kajaks und Kanadiern vor der Flottengarage beladen, in der Küche etwas Eßbares (möglichst zum Grillen) und Getränke organisiert. Nach dem Mittagessen des Internats zieht dann der Zug der Boote die Donaustraße wie ein Bandwurm hinaus. Draußen wird ein Kahn mit den wichtigsten Gerätschaften (Grill, Sitzbänke, Verpflegung) beladen, die anderen Boote ins Wasser gebracht, und auf geht’s. Für die Kajaks ist meist der "Stille Ozean" (der Altarm hinter der Insel) das erste Ziel, da es dort ohne Strömung leichter aufwärts geht. Der Kahn (und einige andere Boote) fahren die Insel entlang bis zu deren oberem Ende in die "Schweinebucht" hinein (so genannt wegen manch eines verendeten Tiers, das während eines Hochwassers dort angeschwemmt wurde), von dort dann wieder mehr oder weniger gemeinsam mit den übrigen aufwärts zu unserem normalen Lagerplatz bei Flußkilometer 2290,8. Dort ist das Lagern ja noch nicht verboten, und so wird ausgepackt, und bald versammeln sich alle um das Feuer, damit sie die ersten Würste oder die letzen Schnitzel ergattern. Manche drängen sich auch schon ums Feuer, um ihr durchnäßtes Hinterteil (und was noch dazugehört) zu trocknen, denn bekanntlich ist Wasser naß, und wenn es bei den Kajaks schon nicht durch Ritzen und Löcher kommen kann, so doch durch eigenes und fremdes "Verschulden" von oben. Nach der ersten Stärkung schwärmen die meisten wieder aus, allein - gemeinsam - gegeneinander. Nicht selten sieht man von manchen Kajaks bald den Kiel oben und den ehemaligen Insassen daneben im Wasser. Sind die Vorräte und die überschüssigen Kräfte aufgebraucht, geht’s an den bequemsten Teil des Nachmittags: donauabwärts bis zum Flottenwagen bei km 2289. Nicht bei allen beliebt ist der letzte Akt der Veranstaltung: Boote heimfahren, säubern und aufräumen. Was bleibt nach so einem Tag? Eine schöne Erinnerung und zumindest eine gewisse Müdigkeit, für die die Präfekten nicht ganz undankbar sein dürften.

Natürlich werden die Boote auch gerne von den Kollegiaten benutzt, die sich ihre Freizeit ja zum größten Teil selber einteilen können. Auch manche Altmettener, Lehrer und Jugendgruppen, die auf dem Himmelberg weilen, bedienen sich unserer Boote, vor allem in der Ferienzeit.

So wird das Treiben auf der Donau weitergehen, wenn auch nicht mehr mit so großen Massen, wie zu der Zeit, als das Internat über 350 Schüler zählte, die jedes Wochenende da waren, so doch in freierem Rahmen mit mehr Individualität - wie auch sonst in unserer Zeit.

* Alle Zitate ohne weitere Angabe sind der Flottenchronik entnommen, die von P. Erminold bis ins Jahr 1989 geführt wurde.