Alexander Neckham



 

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Leben und Werk :

*1157 in St Albans /England +1217 in Kempsey/England

Der mittellateinische Schriftsteller und Theologe Alexander Neckham ("Nequam") wurde im September 1157 in St. Albans in England geboren, in derselben Nacht wie der spätere König Richard I., dessen Amme seine Mutter auch war. Nach der Schulausbildung in St. Albans studierte er in Paris, dem großen Anziehungspunkt für Studenten der "artes" und der Theologie, die freien Künste, darunter wohl besonders die Dialektik, ferner Theologie, kirchliches und ziviles Recht und Medizin. Neben der Logik faszinierten ihn offensichtlich besonders naturwissenschaftliche Fragestellungen. Er trat auch selbst als Lehrer der artes auf, ebenso wie er - nach England zurückgekehrt - in Dunstable und auch in Oxford lehrte.  Seit 1213 war er Abt in der Augustinerabtei Cirencester in Gloucestershire. Sein lateinisch verfasstes Werk - noch nicht ausgiebig erforscht (eine Reihe seiner Werke ist noch nicht einmal gedruckt) - ist sehr vielseitig und umfangreich. Enzyklopädischen Charakter haben die als Einleitung eines Ecclesiastes- Kommentars gedachten beiden Bücher "De naturis rerum", die mit dem biblischen Schöpfungswerk beginnen und über die Natur- und Tierwelt bis zur Charakterisierung des Menschen reichen. Neckham beruft sich in diesem Werk auf eine Reihe naturwissenschaftlicher Autoritäten der Antike. Interessant für die Geschichte des Unterrichts an den damaligen Universitäten und Schulen sind die literaturgeschichtlichen Einlagen "De septem artibus" und "De locis in quibus artes floruerunt liberales". Weiter verfasste er die Werke  "De laudibus divinae sapientiae" und  "De nominibus utensilium", Fabelbearbeitungen in Versform, Sermones (Predigten), Werke zur Bibelexegese und Dichtungen (Gelegenheitsverse moralisch - ethischen Charakters). "De laudibus divinae sapientiae" hat einen ähnlichen Inhalt wie "De naturis rerum", ist jedoch in Versform (Distichen) gehalten. Interessant ist hierbei für das Studium des Unterrichts im 12. Jhdt. die Passage "Laudes urbium", in der Alexander französische und italienische Schulorte und die dort wirkenden Lehrer bespricht. "De nom. ut." kann geradezu als mittellateinisch - französisches Lexikon bezeichnet werden. Die Schrift zählt nämlich unterschiedliche Werkzeuge, Geräte, Kleidungsstücke und sogar Tiere auf, die für Menschen verschiedener Berufe und Stände notwendig waren. Da hierunter eine Reihe sehr seltener Worte waren, lieferte Neckham selbst dazu französische Erklärungen. Die Hauptgrundlage für das Werk fand auch er bei Isidor von Sevilla, weitere Anregungen bei Juvenal und Horaz

Ecclesiastes = (der Prediger); als Buchtitel: das (alttestamentliche) Buch " Kohelet "

 
 

Texte 

(aus dem Werk "De naturis rerum") 

 

 

Entstehungshintergrund des Werkes 

"De naturis rerum" sollte nach Absicht des Autors  ein Handbuch der Wissenschaft bilden. Antikes Wissen bildete die selbstverständliche  Basis, doch floss auch Zeitgenössisches ein. 

Als hervorragendster Philosoph galt Alexander der Grieche Aristoteles, von dessen Werk dem lateinischen Westen bis ins 12. / 13. Jahrhundert hinein allerdings nur vergleichsweise wenig direkt bekannt war. Ein Teil der logischen Schriften war bereits in der Spätantike von Boethius ins Lateinische übertragen worden. Sie gehörten als fester Bestandteil zum westlichen Bildungsgut. Weitere logische Schriften, die sog. "Neue Logik", wurde allerdings erst  in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bekannt. Das Gesamtwerk lag erst gegen 1240 in lateinischer Sprache vor. Dabei erfolgte die Übernahme nicht von den Griechen selbst, sondern auf dem Umweg über v. a. arabische Übersetzungen, die man im Zuge der Durchdringung der islamischen und der westlichen Kultur kennengelernt hatte. Dabei übernahmen die mittelalterlichen Leser Aristoteles in der Regel zusammen mit seinen arabischen Kommentatoren, unter denen v. a. der persische Philosoph und Theologe Avicenna (980 - 1037) und der Jurist und Philosoph Averroes (1126 - 1198) zu nennen sind. 

Die Wiederentdeckung des Aristoteles führte geradezu zu einem "Paradigmenwechsel", förderte er im Unterschied zur platonisch - augustinischen Tradition doch eine Denkweise, die stärker an der Weltwirklichkeit, am Konkreten, am Einzelnen und an der Erfahrung orientiert war. 

Alexander Neckham selbst nun hatte zu seiner Zeit wohl nur direkten Zugang zu der "Alten" und "Neuen" Logik des von ihm so verehrten Aristoteles. Spuren aus den naturwissenschaftlichen Werken des Aristoteles sind selten. Zwar zitiert Neckham Aristoteles gelegentlich in solchen Zusammenhängen als Quelle, doch wurden die o. g. Werke ja erst Jahre nach dem Erscheinen von "De naturis rerum" übersetzt und handelt es sich nicht um direkte Zitate. Die Antwort auf die Frage, woher er seine Kenntnisse dann beziehen konnte, liegt wohl darin, dass Alexander Kontakte zur (medizinischen) Schule von Salerno hatte, deren Vertreter wohl die ersten waren, die die naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles benutzten. 

Viel übernimmt er (s. o.) von Isidor von Sevilla, aber auch von Solinus und Cassiodor. Dagegen finden sich keine Hinweise auf eine Benutzung der "Naturalis Historia" des älteren Plinius. Den bekannten "Physiologus" - ein um 200 in Alexandrien entstandenes Buch mit einer Reihe von Tiergeschichten (mit vielfach christlicher Aussage), das früh in alle christlichen Sprachen übertragen wurde - benutzt er nicht oder wenig, im Gegenteil, er korrigiert einige Vorstellungen, die daraus stammen. 

Während er seine antiken Quellen direkt nennt, geschieht dies nicht mit den zeitgenössischen. Die Gattung der "Bestiarien", also Sammlungen von Tiergeschichten, in England im 12. Jahrhundert gerne gepflegt, mit ihren Vertretern Gerald von Wales und Peter of Cornwall wirkte freilich auch auf Alexander. An den einzelnen Texten soll gezeigt werden, wie die moralisierende Tendenz dieser "Bestiarien" auf ihn ebenso Einfluss nimmt wie bereits der wissenschaftliche Geist des Aristoteles. 


 

Text 1: De animalibus

(De n. r., lib. II, cap. XCIX)

Non est mihi fateri  nec etiam nomina singularum specierum animalium me nosse, nedum naturas me nosse fatear. Multae etiam sunt naturae rerum tam cottidiano usu quam experientia compertae, quas scripto commendare superfluum esset eo, quod notae vulgo sunt. Quaedam vero adeo sunt occultae, ac si dicat natura: "Secretum meum mihi, secretum meum mihi !" Media igitur via incedamus, ut nec vulgaria nisi raro in medium proferre velimus, nec ea, quae subtilioribus egent inquisitionibus, enucleaturos nos fore spondere praesumamus.


Übersetzungshilfen: 

Non est mihi ...  = Ich will (gerne) .../ nedum (mit Konj.) = geschweige denn, noch viel weniger / commendare = anvertrauen, übergeben / superfluus, a, um = überflüssig / vulgo (Adv.) = allgemein / secretum, - i (hier Subst. ) = Geheimnis / vulgaris, e = gewöhnlich, allbekannt / subtilis, e = hier: genau, gründlich / inquisitio : Substantiv zu "inquirere" / enucleare = erläutern, verdeutlichen, sorgfältig behandeln / praesumere = hier: wagen, sich anmaßen 

 

Inhaltliche Erläuterungen


Text 2 a: De rhinoceronte

(De r. n., lib. II, cap.CIII ) 

Rhinocerontis color est buxeus, in naribus cornu unicum et repandum, quod subinde attritum  cautibus in mucronem excitat, eo quod adversus elephantes praeliatur, par ipsis longitudine, brevior cruribus, naturaliter alvum petens, quam solam intelligit ictibus suis perviam.

Übersetzungshilfen

buxeus,a,um: buchsbaumfarbig, gelblich / nares, -ium (Pl.):- die Nase / unicus = hier: unus / repandus, a, um: rückwärts aufgebogen / subinde = immer wieder, wiederholt / attritus, a, um (PPP zu atterere) = abgerieben /  cautes, -is =   Fels / mucro, -onis =  Spitze / excitare = hier: schärfen /  praeliari = proeliari : Verbum  zu "proelium"/ alvus, - i (f. ! ) =  Leib, Unterleib, Bauch / ictus, -us = Stoß / pervius, a, um = zugänglich 

 

Text 2 b: Item de rhinozeronte

( De n. r.,  lib. II, cap. CIV ) 

Refert autem Isidorus, quod tantae est fortitudinis, ut nulla venantium virtute capiatur. Virgo autem proponitur puella, quae venienti sinum aperit, in quo omni ferocitate deposita ille caput ponit, sicque soporatus velut inermis capitur. Nonnulli istud adaptaverunt Christo et ecclesiae. Sed non solum ad Saulum spirantem minarum haec queunt referri, sed ad quemcumque transeuntem ad liberam et spontaneam servitutem. Hunc enim sapientia sinu suo fovet et amplexibus refovet spiritualibus.

Übersetzungshilfen

virgo : hier adjektivisch gebraucht / soporare = einschläfern; soporatus, a, um = auch: in tiefen Schlaf versunken / inermis: Gegenteil zu "armatus" / adaptare (m. Dat. ) = hier: deuten auf / Saulus = Saul (atl. König; Vorgänger Davids) / spirare (PPA mit Gen. verbunden) = hier: ausstoßen / fovere (wie refovere) = wärmen, hegen, halten (z. B. auf dem Schoß) / amplexus, - us: Substantiv zu amplecti / spiritualis, e = geistlich 

Inhaltliche Erläuterungen


Text 3:
De glandosa

( De n. r., lib. II, cap. CII ) 

Morsus glandosae putidus est. Qui hunc serpentem occidit, odor eius putidus fit et omnem odorem perdit nisi solius illius odoris. Glandosa repraesentat invidiam, cuius detractio putida est. Quid autem invidiam interficit, nisi ipsa invidia? Sui enim ipsius peremtrix est et aculeis propriis succumbit. Odorem autem rei honestae non percipit, sed ea tantum, quae invidiae sunt, odoratur.

 

Übersetzungshilfen

morsus, - us =  Biss / glandosa: siehe inhaltliche Erläuterungen / putidus, a, um = faul, moderig, widerlich / serpens: siehe inhaltliche Erläuterungen / odor, - ris = Geruch / detractio (siehe detrahere) = hier wohl: das In - den - Schmutz - Ziehen / perem(p)trix, tricis = weibliche Form zu "peremptor" (der Mörder) / aculeus, - i = Stachel / odorari = an etwas riechen, wittern, nach etwas trachten 


Inhaltliche Erläuterungen


Text 4: Quare aqua marina salsa sit

( De n. r., lib. II, cap. I ) 

Secundum veritatem doctrinae Aristotelicae omnes aquae sunt indifferentes secundum speciem. Unde aqua salsa et, quae vulgo dulcis dicitur -  est enim omnis aqua naturaliter insipida -  eiusdem speciei sunt. Cum autem omnis aqua sit naturaliter tam frigida quam alba et salsedo sit ex accidentali calore, verisimile est quod omnis aqua sit naturaliter insipida. Unde et aquae salsae diligenti depuratione dulces redduntur. Putant autem aquam marinam salsam esse ex calore solis et aliorum planetarum. Verus enim oceanus sub torrida zona constituitur. Quare et ipsum calefieri oportere verisimile est.

Übersetzungshilfen

salsus, a, um = salzig / Aristotelicus, a, um: Adjektiv zu "Aristoteles" / indifferens, - ntis = ohne Unterschied / vulgo = allgemein / insipidus, a, um = ohne Geschmack / salsedo, - inis = salziger Charakter / accidentalis, e = hinzukommend, äußerlich, unwesentlich, akzidentiell / calor, oris = Wärme / depuratio, - onis = Reinigung / marinus, a, um: Adjektiv zu "mare" / planeta, ae (m. ! / griech.) = Planet / torridus, a, um = dürr, heiß / zona, - ae = Gebiet, Zone / calefieri = warm werden 

 

Inhaltliche Erläuterungen 


Bilder (Motive aus Oxford) 

 


Weiterführende Literatur und Links 

Lexikon des Mittelalters I, Sp. 378 f. 

Manitius, Max, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. III (= Handbuch der Altertumswissenschaft, 9.
Abteilung ), München 1931,  S. 784 - 794 

Hunt, R. W., The schools and the cloister. The life and writings of Alexander Neckham (1157 - 1217), Oxford 1984

http://www.oxfordcity.co.uk/ (Allgemeine Seite der Stadt Oxford) 

http://www.ox.ac.uk/ (Die Universität Oxford heute) 

http://www.bodley.ox.ac.uk/dept/scwmss/wmss/medieval/mss/ashmole/1462.htm
(Abbildungen aus verschiedenen lateinischen Werken über Medizin und Pflanzenwelt, England, spätes 12. Jhdt.)